Nichts

Der Umschlag ist unscheinbar, wenig lila- und orangefarbener Text, sonst unschuldig weiss. Der Einstieg liest sich philosophisch. Im Zentrum steht die Frage nach der Bedeutung der Dinge. Was danach kommt, fasziniert, ekelt an, erschüttert. Konkret: Am ersten Schultag der Klasse 7A verlässt Pierre Anthon die Schule – endgültig. Sein Abschiedssatz: „Nichts bedeutet irgendetwas.“ Von nun an sitzt er in einem Pflaumenbaum. Jeden Tag bewirft er die ehemaligen Kameraden mit dessen Früchten und bombardiert sie mit Sätzen über den Unsinn des Lebens. Damit stellt er die Schüler enorm in Frage. Sie wollen ihm beweisen, dass es sehr wohl Dinge gibt, die Bedeutung haben und beginnen, solche zu sammeln. Zuerst sind es alltägliche Gegenstände, Fotos, eine getrocknete Rose aus einem Brautstrauss (unterdessen ist das Ehepaar längstens wieder geschieden) alte Spielsachen. Die Jugendlichen merken bald: Damit können sie Pierre nicht überzeugen. Deshalb suchen sie nach Dingen, die wirklich bedeutend sind. Ein Berg der Bedeutung soll aufgehäuft werden als ultimatives Beweismittel. Agnes muss dafür ihre Lieblingssandalen hergeben. Sie sträubt sich, tut es schliesslich doch. Aus Wut verlangt sie von Gerda ihren Hamster. Es folgen die Landesfahne, eine Adoptionsurkunde. Plötzlich – man weiss nicht wie – gerät das Ganze in einen Sog. Der Sarg des verstorbenen Bruders muss auf den Berg, ein Gebetsteppich, ein Hundekopf (dafür wird der Hund eigenhändig geköpft), die Unschuld eines Mädchens sprich ein Tuch mit ihrem Blut und Schleim, die Jesusstatue aus der Kirche, der Zeigefinger der rechten Hand. Als Leserin hat mich das Grauen gepackt. Dennoch habe ich weitergelesen. Auch in der Story steigt niemand aus, jede und jeder macht mit. Der Gruppendruck steigert sich ins Exzessive. Erst am Schluss reagieren die Eltern, mehr schlecht als recht. Die Sache wird bekannt. Die Presse schaltet sich ein und plötzlich scheint der Berg der Bedeutung zu seinem Recht zu kommen. Wirklich? Wieder ist es Pierre Anthon, der die andere Seite aufzeigt. Das Ganze eskaliert, die Welt geht in Flammen auf. Dies alles beschreibt die Autorin eigenartig sachlich, aus der Sicht von Agnes, die selber mitmacht bis zum bitteren Ende. Am Schluss bleibt ihre offene Frage.

Dieses Buch löste Kontroversen aus und tut es heute noch. Zuerst wurde es an den Schulen in Dänemark verboten. 2001 erhielt es den Kinderbuchpreis des dänischen Kulturministeriums und 2008 den Prix Libbylit als bester Jugendbuchroman. Über den Inhalt kann man geteilter Meinung sein. Geschrieben ist es grandios. Die Story packt einen im Innersten. Folgende Fragen sollte man sich dennoch stellen: Ist es wirklich angebracht, eine Diskussion auszulösen, indem man ein Thema mit soviel Groteske und dermassen grauenhaft beschreibt? Heiligt der Zweck die Mittel? Bringt die Story den Effekt, „es im eigenen Leben vielleicht anders machen zu wollen?“ Die Antworten sind Ihnen überlassen. Katharina Wagner

Titel Nichts
Autor:innen Teller, Janne
Kollation Was im Leben wichtig ist. A. d. Dän., Broschur, 139 S.
Verlag, Jahr Carl Hanser , 2010
ISBN 978-3-446-23596-0
Kategorie Belletristik
Schlagwort Gewalt / Philosophisches
Bewertung kontrovers
Rezension publiziert 21.07.2016